Sachsen-Anhalts erster Ministerpräsident

Gerd Gies

1990: ein Jahr voller Veränderungen, voller Überraschungen. Glück und Enttäuschungen lagen oft dicht beieinander. Es war aber vor allem das Jahr der Deutschen Einheit. Fünf neue Bundesländer traten zum 
3. Oktober der Bundesrepublik Deutschland bei. Davon hatten zu Beginn des Jahres nur wenige zu träumen gewagt.


Wäre Gerd Gies Anfang 1990 prophezeit worden, er würde bald hauptamtlich Politik betreiben, der Stendaler Tierarzt hätte wohl laut gelacht. Seine Politkarriere begann am 24. Februar 1990 mit der Gründung eines CDULandesverbandes in Halle-Neustadt. Die bisherigen Bezirksverbände Magdeburg und Halle schlossen sich dort zusammen. „Ich wurde von den Vertretern des Magdeburger Bezirksverbandes gebeten, für den hauptamtlichen Landesvorsitz zu kandidieren. Das wollte ich eigentlich nicht“, erinnert sich Gies. Ein weiterer Kandidat aus Halle bewarb sich auch um das Amt. „Da dieser Bezirksverband zwei Drittel der Delegierten stellte, stimmte ich einer Kandidatur zu. Ich dachte, es kann ja nichts passieren.“ Es passierte doch. Die Delegierten wählten Gies zum Landeschef der CDU. Auch bei der anschließenden Volkskammerwahl am 18. März hatten alle Meinungsforschungsinstitute mit einem SPD-Sieg gerechnet. So wähnte sich der Altmärker auf einem „sicheren“ hinteren Listenplatz. Der überragende CDU-Erfolg katapultierte ihn jedoch ins Parlament.
Am 22. Juli schlug dann die (Wieder-)Geburtsstunde des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Volkskammerbeschluss zur Wiedereinführung der Länderstruktur in der DDR. Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt entstanden neu, zunächst weitgehend auf dem Papier und verwaltet von Regierungsbeauftragten. Als Landesvorsitzender seiner Partei konnte sich Gerd Gies einer Spitzenkandidatur bei der ersten Landtagswahl im Oktober nicht verschließen. Die CDU ging als Favorit in die Wahl und siegte haushoch. Dass der Koalitionspartner dann FDP und nicht SPD hieß, war selbst für den
CDU-Spitzenkandidaten eine Überraschung. „Die große Koalition spielte in meinen Überlegungen eine bedeutende Rolle. Ich hätte eine solche Lösung angesichts der zu lösenden Probleme nicht als falsch angesehen“, sagte Gies später.
Die neue Welt sah für den frisch gewählten Ministerpräsidenten recht abenteuerlich aus. Es gab zunächst weder ein Büro noch ein Kabinett. „In der ersten Zeit saß ich in der CDULandesgeschäftsstelle mit einer Sekretärin. Das war die Landesregierung“, schmunzelt Gies. „Dann gab es ein Kabinett und als Erstes suchten sich die Minister irgendwo einen Schreibtisch und eine Sekretärin. So ging das los.“ Die Arbeit ließ nicht auf sich warten. Das Programm „Aufbau Ost“ rollte an. „Ich habe damals täglich Entscheidungen treffen müssen, ohne zu wissen, ob ich das überhaupt durfte“, so Gies. Improvisiert wurde überall.
Zwischen Magdeburg und Halle tobte ein Streit, welche von beiden Landeshauptstadt werden soll. Mit knapper Mehrheit wurde schließlich Magdeburg gewählt. Die Stimmen der altmärkischen Abgeordneten waren in der Abstimmung das Zünglein an der Waage.
Der erste Ministerpräsident wirkte nur sehr kurz. Ein handfester Skandal zwang ihn schon nach einem halben Jahr zum Rücktritt. Er soll Abgeordnete der CDU-Fraktion mit Stasi-Vorwürfen zur Rückgabe des Mandats gedrängt haben. Darauf entzog ihm die Fraktion das Vertrauen. „Das war kein geplanter Putsch einer innerparteilichen Opposition, eher eine chaotische Revolte: Als Gies bei der Vertrauensabstimmung mit 20 zu 21 Stimmen unterlegen war, da brach kein Jubel aus, da rührte sich keine Hand zum Beifall“, schrieb die „Die Zeit“ im Juli 1991.