Junge Heimatforscher machen Stadtgeschichte erlebbar

Kinder-Stadtführer-Projekt

Sie stehen in mittelalterlicher Tracht am Rathaus und überbringen fröhlich singend ihre Einladung zu einem Stadtrundgang: „Liebe Leute kommt herbei …“ Dem besonderen Angebot der jungen Tangermünder Stadtführer kann sich wohl niemand entziehen, der an der Geschichte der 1000-jährigen Stadt interessiert ist. Und so entdeckt man im Schlepptau der jungen Schar nicht nur gewöhnliche Tagestouristen, sondern auch prominente Stadtgäste, wie den Landesvater Dr. Reiner Haseloff oder den Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht. Auch Flüchtlingen, wie den syrischen Neubürgern, wird mit Hilfe eines Dolmetschers die Ehre einer kostenlosen Stadtführung zuteil.


Jede Woche treffen sich die Jungen und Mädchen, um sich fortzubilden oder nach Bedarf mit Gästen in den Gassen der Altstadt und auf der Burg unterwegs zu sein. Die jungen Tangermünder haben großen Spaß daran, die Stadtgeschichte und die historischen Bauwerke vorzustellen. Gruppenleiterin ist Petra Hoffmann. Sie hat das Kinder-Stadtführer-Projekt 2001 ins Leben gerufen und in zwei Jahrzehnten erfolgreich weiterentwickelt. „Es geht nicht nur darum, den Touristen auf unterhaltsame Art und Weise die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu erklären, sondern in die Stadtgeschichte einzutauchen, sie zu erforschen“, sagt sie. Die Kinder- und Jugendgruppen beschäftigen sich mit der Geschichte der Heimatstadt, aber auch mit alten Bräuchen und altem Handwerk. Die jungen Hobby-Historiker bereichern mit ihren Forschungsarbeiten sogar die regionale Geschichtsforschung. Mehrfach haben sie schon an Wettbewerben teilgenommen und Hauptpreise gewonnen, u. a. beim Kunstwettbewerb „Faszination Romanik“ oder beim Wettbewerb „Jugend entdeckt die Geschichte(n) Sachsen-Anhalts“. Ihr erworbenes Wissen bringen die Kinder und Jugendlichen bei den Führungen oder auf regionalen Heimatfesten ein. Die Forschungsergebnisse werden aber auch publiziert. So haben die jungen Stadtführer eine Broschüre über die Jüdische Gemeinde in Tangermünde herausgegeben und über das Schicksal von Menschen geschrieben, die 1945 auf der Flucht waren und in Tangermünde eine neue Heimat gefunden haben. Aber auch für die kleinsten Bewohner der Stadt gibt es schon jede Menge Heimat-Lektüre. Mit dem „Stadtführer für Kinder“ können Kindergarten- und Grundschulgruppen auf eigene Entdeckungstour gehen. Ein Malheft und sechs illustrierte Lesehefte machen die Geschichte von historischen Gebäuden und bedeutenden Personen kindgerecht erlebbar.
Auf Studienreisen erweitern die jungen Heimatforscher ihr Wissen, treffen sich mit Gleichgesinnten in anderen Städten oder laden auswärtige „Stadterkundler“ zu einem Treffen junger Stadtführer nach Tangermünde ein. Viele der rund 20 Aktiven sind von der ersten bis zur letzten Schulklasse dabei. Verlassen die jungen Leute nach dem Schulabschluss die Stadt, schließt der ausgebildete Nachwuchs die Lücken in den Gruppen immer wieder aufs Neue. So war es auch schon vor der Wende. Heimatbewusste, engagierte Lehrer und junge Historiker haben zu allen Zeiten die große Geschichte der kleinen Stadt erforscht und die Erkenntnisse publiziert. Die Begeisterung für das historische Erbe ist ungebrochen. Mit inniger Heimatliebe und den Möglichkeiten der neuen Zeit setzen die jungen Tangermünder Heimatforscher unter pädagogischer Anleitung diese Tradition fort.